8. Mai 2022 – 77. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus: Aufruf zum stillem Gedenken am Denkmal für die polnischen Befreier*innen vor der TU Berlin
Vor 77 Jahren wurde das nationalsozialistische Deutschland von der Anti-Hitler-Koalition besiegt und die Menschen, die unter diesem Regime auf abscheulichste Art gelitten haben, befreit. Seit dem 1. September 2020 wird an die polnischen Soldatinnen und Soldaten, die neben der Roten Armee auf dem Gelände der heutigen TU Berlin gegen den deutschen Faschismus gekämpft haben, mit diesem Denkmal erinnert. Eingeweiht wurde es auf dem Gelände der TU anlässlich des 82. Jahrestags des deutschen Überfalls auf Polen, auf Initiative der Berliner VVN-BdA und Unterstützung des Bezirksamts Wilmersdorf-Charlottenburg sowie des AStA TU und unter tatkräftiger Beteiligung deutsch-polnischer Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft.
Was bedeutet diese Gedenktafel für uns? In erster Linie bedeutet sie, dass wir am Tag der Befreiung und immer wieder an die polnischen Soldat*innen erinnern müssen und wollen, die trotz allen Schmerzes, aller Verzweiflung, die sie erleben mussten, erfolgreich daran beteiligt waren, dem deutschen Nazi-Regime ein Ende zu bereiten. Dafür möchten wir ihnen unendlich danken und all jenen gedenken, welche die Befreiung nicht mehr erleben konnten.
Das Denkmal erinnert uns aber auch daran, dass Bildung und universitäre Lehre nie unpolitisch sind. Mit ihrer wehrtechnischen Fakultät war die Technische Hochschule (TH) Berlin (heute Technische Universität Berlin) ein wichtiger Wissenschaftsstandort, der dazu beitrug, dass der Vernichtungskrieg Nazi-Deutschlands so lange geführt werden konnte. Viele Professor*innen als auch Studierende der Technischen Hochschule traten schon früh der NSDAP bei und nur wenige stellten sich der NS-Ideologie entgegen. Nach der Machtübernahme wurden hier jüdische und politisch unliebsame Professor*innen und Studierende diskriminiert und verfolgt. Der Rektor der TH Ernst Storm war überzeugter Nationalsozialist und SA-Sturmbannführer. Er war bereits im März 1933 Rädelsführer einer Aktion, bei der die Hakenkreuzfahne auf dem Hauptgebäude der TH gehisst wurde. Am 1. April 1933 wurde Storm zum ordentlichen Professor ernannt. Storm schloss später per Einschreiben die jüdischen Studierenden vom Studium und jüdische wissenschaftliche Mitarbeiter*innen von ihrer Arbeit aus, darin hieß es: „Bis auf weiteres wird Ihnen die Teilnahme an den Vorlesungen und Übungen der T.H.B. sowie das Betreten der Hochschule überhaupt verboten“. Viele von ihnen konnten später aus Deutschland fliehen, aber nicht alle konnten der NS-Tötungsmaschinerie entkommen. Und zudem nutzte die Technische Hochschule ab 1943 Zwangsarbeiter*innen, die hier unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten. Auch ihrer möchten wir anlässlich des 8. Mais gedenken.
Das Denkmal sollte daher auf verschiedenen Ebenen für die Technische Universität Berlin und ihre Studierenden Anlass zum Erinnern, Gedenken und Mahnen geben. Dies gilt insbesondere in einer Zeit, in der antisemitische, rassistische, rechte und andere diskriminierende Denkweisen immer stärkere gesellschaftliche Bedeutung gewinnen. Denen müssen wir uns entschieden entgegenstellen. Unsere Aufgabe als AStA und Studierende der TU Berlin ist es, diese Verantwortung ernst zu nehmen, den Überlebenden und Angehörigen zuzuhören und uns dafür einzusetzen, dass das Geschehene nicht in Vergessenheit gerät. Sodass wir auch noch in Jahrzehnten sagen werden: Nie wieder Faschismus!
Zum Tag der Befreiung am 8. Mai 2022 war, wie im letzten Jahr, eine feierliche Gedenk-Veranstaltung angedacht. Wir schließen uns aber dem Aufruf von Kamil Majchrzak (Initiative „Denkmal für die Polnischen BefreierInnen von Berlin“, Vize-Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos (IKBD)) an, diese aus Solidarität und Respekt vor den Opfern des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine aussetzen, solange der Krieg andauert. Wir werden sie erst nach Einstellung der Kriegshandlungen gemeinsam wiederaufnehmen.
Wir als AStA der TU Berlin verurteilen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine durch das russische Regime aufs Schärfste und solidarisieren uns mit den Menschen in der Ukraine, die unter diesem Angriffskrieg leiden. Die damit einhergehende Verharmlosung und Verfälschung des Holocausts sowie der Geschichte des Nationalsozialismus, die als Legitimation für diesen Krieg missbraucht wird, ist unerträglich.
Wir rufen für den 8. Mai 2022, dem 77. Jahrestag der Befreiung, dazu auf um 12:00 Uhr still und individuell zu gedenken, Blumen und Kränze am Denkmal niederzulegen und Kerzen aufzustellen. Das Denkmal für die polnischen Befreier*innen befindet sich zwischen dem Erweiterungsbau der Technischen Universität Berlin in der Straße des 17 Juni 145 und dem U-Bahnhof Ernst-Reuter-Platz.