07 Sep

TW: Stellungsnahme zum Fall Sanay Yağmur

Als Feminist*innen halten wir aufgrund der sexualisierten Gewalt die voreingenommene und bestellte politische Repression des aserbaidschanischen Regimes gegen Sanay Yağmur und ihre Mutter, Zümrüd Yağmur, für katastrophal und für inakzeptabel. Indem die patriarchale, korrupte Justiz Aserbaidschans alles dafür unternimmt, dass der Vergewaltiger keine Konsequenzen für seine Tat zu fürchten hat, trägt sie eine Mitschuld an der Aufrechterhaltung und Reproduktion von staatlicher Misogynie und Rape Culture. Wir machen klar: Ein Angriff auf ein*e FLINTA* bedeutet einen Angriff auf alle FLINTA*s!

Am 25. August 2020 wurde ein*e Feminist*in aus Aserbaidschan, Sanay Yağmur (17), von einem männlichen Verwandten, Asgar Agayev (29), vergewaltigt. Dieser Fall ist der erste bekannte Fall in Aserbaidschan, in dem eine weiblich gelesene Person den Namen des Täters öffentlich bekannt gibt und erklärt, dass sie sexueller Gewalt ausgesetzt war. Die mediale Verbreitung des Falls hat einen öffentlichen Aufschrei ausgelöst. Seit mittlerweile über zwei Jahren setzt sich die Mutter, Zümrüd Yağmur, für eine Urteilssprechung vor Gericht ein. Doch trotz der u. a. ärztlichen Unterlagen, die den Vergewaltigungsfall nachweisen, wird der Täter von den korrupten Behörden nicht zur Rechenschaft gezogen. Die finalen Termine des Prozesses werden zudem durch die Familie des Täters in Absprache mit dem korrupten Gericht unter fadenscheinigen Gründen immer wieder verschoben. Ziel dieses Aufschubs ist es, Zeit zu gewinnen, um ein gefälschtes ärztliches Gutachten für den Täter einzuholen, welches ihn als krank einstuft, sodass es Agayev offiziell möglich wird, das Land für eine krankheitsbedingte Behandlung zu verlassen und sich so für immer aus seiner Verantwortung zu ziehen.

Übersetzung der Sprechblasen vom Aserbaidschanischen ins Deutsche:
Der Staat: „Die Präsidialverwaltung und der Staatssicherheitsdienst sind noch nicht bereit, dem Gericht zu befehlen.“
Das Gericht: „Diesmal wird der Prozess verschoben, weil ich mich nicht bereit fühle, darüber zu urteilen.“
Täter: „Mein Bauch tut weh. Ich fühle mich nicht bereit, die Entscheidung zu hören.“

Die Verzögerungstaktik nimmt immer wieder groteske Züge an, wobei die Absicht des Gerichts auf entlarvend lächerliche Art und Weise zu Tage tritt. Die abgebildete Karikatur, die von Feminist*innen gezeichnet wurde, ist vor dem finalen Termin des Gerichtsprozesses, Anfang August 2022, entstanden. Die Karikatur porträtiert, wie ein Befehl „von oben“ den ganzen Prozess beeinflusst. Eine Woche nach Veröffentlichung der Karikatur wurde der Gerichtstermin mit der Begründung verschoben, dass der Täter unter Bauchschmerzen leidet und daher nicht zu dem Termin erscheinen kann, wie die Karikatur scherzhaft hervorhebt. Bei der Ankündigung dieser Verschiebung teilte das Gericht noch mit, dass diese Karikatur bei der Entscheidungsfindung in diesem Fall berücksichtigt wird.

Das Gericht, dessen Prozess mehr mit einer Theaterinszenierung gemein hat als mit Rechtsprechung, das gesamte korrupte Justizsystem, das Regime mit seiner Macho-Crew, die Polizei und männlich gelesene oppositionelle Politiker*innen mit ihrem Schweigen – sie alle schützen den Täter in diesem Vergewaltigungsfall.

Uns ist bewusst, dass der Staat „die Gerechtigkeit“ durch sein Urteil nicht wiederherstellen kann. Sich Gerechtigkeit von einem solchen Gericht zu erhoffen ist genauso, wie von einem Fisch zu erwarten Fahrrad zu fahren. Dass dieser Fall öffentlich thematisiert wird, ist für uns dennoch wichtig, damit, erstens, erneut aufgezeigt wird wie misogyn, patriarchal, gewaltfördernd und verbrecherisch die staatlichen Strukturen selbst sind. Der autoritäre aserbaidschanische Staat arbeitet mit Agayev als rape culture Förderer Hand in Hand, schützt ihn, verharmlost seine Verhaltensweise, fördert und nomalisiert somit rape culture, in dem er mit allen Mitteln auf der Seite des Täters steht und legitimiert ihn und andere sich so zu verhalten. Zweitens hat dieser Prozess eine symbolische Bedeutung und es ist wichtig, betroffene FLINTA*s zu ermutigen nicht zu schweigen und solche Fälle zu skandalisieren, weil das Persönliche politisch ist.

Die Gründe, weshalb mehrheitlich Cis-Männer sexuell übergriffig werden und sie in Schutz genommen werden, während Betroffene victim blaming erleben, sind in den sexistisch-patriarchalen Tiefenstrukturen der Gesellschaft zu suchen. Das Patriarchat ist ein strukturelles Phänomen, das über persönliches Verhalten hinausgeht. Selten geht es bei einer sexualisierten Gewalt allein oder primär um sexuelle Befriedigung und viel öfter um die Ausübung von Macht, um Demütigung, um Unterwerfung. Staat, Polizei, Vater, Ehemann; lasst sie unsere Feind*innen sein, wie die aserbaidschanische Feminist*innen sagen. Unser Ungehorsam macht ihnen Angst!

Dass der Fall von Sanay Yağmur so vielen bürokratischen Hürden ausgesetzt ist und der Gerichtsprozess immer wieder verschoben wird, liegt zweifelsohne daran, dass Sanay Yağmur als feministisch*e Aktivist*in die patriarchale Struktur des aserbaidschanischen Regimes scharf kritisiert und sich entsprechend politisch engagiert.

Wir solidarisieren uns mit Sanay Yağmur, Zümrüd Yağmur und mit allen, die bei diesem Fall Widerstand leisten!