09 Nov

Solidarität mit dem Politischen Kommunique der Kunstuniversitäten im Iran

Notiz: Das XLII. Studierendenparlament beschloss in der 1. ordentlichen Sitzung am 8.11.22 folgende Resolution. Der AStA schließt sich dieser Resolution an.

Seit dem Mord der 22-jährigen iranisch-kurdischen Jina (Mahsa) Amini im September diesen Jahres durch die iranische Sittenpolizei finden im Land vielfältige Proteste statt. Dabei ist das, was mit einem politischen Protest für Frauenrechte begann, inzwischen weit mehr: eine gesamtgesellschaftliche revolutionären Bewegung, die sich geschlossen gegen das Regime wendet. Neben den Protesten auf der Straße und in Universitäten, streiken seit einigen Wochen unteranderem auch die Ölindustrie, verschiedene Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen (z.B. Lehrerinnengewerkschaft, Bauernverbände, Rentnerinnenverbände u.v.a.). Dabei wird der Kampf für Frauenrechte verknüpft mit dem Kampf der Arbeiterinnen gegen die Ausbeutung, genauso wie mit dem Kampf vieler ethnischer Gruppierungen nach Gleichberechtigung. Das zeigt sich unter anderem auch an der Erweiterung des eitspruchs der Bewegung „Frau, Leben, Freiheit!“ durch die Arbeiterinnen, welche bei den Protesten zusätzlich forderten: „Arbeit, Brot, Freiheit!“. Elementar für die Bewegung ist, dass diese Forderungen nicht konkurrieren, sondern verwoben miteinander das Gesamtsystem des Regimes anklagen. Zu lange hat die Bevölkerung vergeblich auf Veränderungen durch Wahlen gewartet, geändert hat sich nichts. Deshalb ist das Ziel der Bewegung: die Regierung stürzen!

Doch die Protestierenden riskieren durch zivilgesellschaftlichen Widerstand ihr Leben. Denn die Polizei, die Revolutionsgardisten (Passdaran) und die Paramilitärs (Basidj) wenden, angeleitet durch die herrschende Politik, maßlose Gewalt an. Über 400 Personen wurden im Zuge der Proteste bereits getötet. Zehntausende wurden festgenommen. Mit jedem Tag, der vergeht, nimmt die Gewalt gegen Demonstrierende zu. Davon sind besonders Studierende betroffen. Denn wie bereits 1979 sind die Universitäten die Räume der Revolution. Studierende zertrümmern Symbole der patriachalen Unterdrückung, besetzen Räume und blockieren Lehrveranstaltungen. Dafür sind sie inzwischen offiziell zum Feind der Regierung erklärt worden.

„Die Demonstranten sollten die Geduld des Systems nicht überstrapazieren. (…) Wir sagen es unseren Jugendlichen noch einmal: Heute ist der letzte Tag der Unruhen. Kommt nicht mehr auf die Straßen“ so der Führer der Revolutionsgardisten am 29. Oktober. Diese Drohung wird seitdem in die Tat umgesetzt: unzählige Studierende werden festgenommen, gefoltert, zu Geständnissen gezwungen und bei Protesten an und in Universitäten wird brutal zugeschlagen. Doch die Studierenden sind nicht wehrlos. Sie machen weiter, kollektivieren sich, organisieren sich friedlich, trotz der brutalen Gewalt, auf die sie stoßen. Das politische Kommunique von den Studierenden verschiedener Kunstunis ist ein Beispiel dafür. Wir möchten an dieser Stelle nicht für diese sprechen, sondern ihr Kommunique teilen – es spricht für sich!

Kommunique der Kunst und Architektur

Es ist nichts von der Universität übriggeblieben, die ihr eins für uns gebaut habt, oder nein, besser gesagt, von der Universität, die ihr zerstört habt. Ihr habt niemals einen Anteil an der Kreation und dem Aufbau von irgendetwas gehabt und werdet es auch nie haben. Heute wissen wir, dass ein Gespräch mit euch sinnlos ist.Jemand, der täglich dem Sterben von jungen und hoffnungsvollen Menschenseelen zusieht und dazu schweigt wird durch keine Worte zur Einsicht kommen. Von der Universität ist nur eine Leiche übrig. Diese Wörter können als die Nägel betrachten werden, mit denen der Sarg der Universität versiegelt wird.
Jetzt aber sind andere Dinge zerstört worden: Eure Autorität. Wir glauben, dass gute Lehrende die Welt verändern und das nicht jeder diese Bezeichnung verdient hat. Gute Lehrer*innen in den langen sinnlosen Jahren unserer Ausbildungen gibt es weniger als die Finger einer Hand. Heute auch sind es nur wenige Dozierende, die auf unsere Seite stehen. Von diesen wurden viele an unbekannte Orte versetzt oder körperlich angegriffen. Der Rest der Lehrerschaft, die niemals gute Lehrer*innen waren, hätten die Gelegenheit gehabt selbst von ihren Schüler*innen, deren Herzen für Menschlichkeit und Humanität schlagen, zu lernen. Wenn vom Denken und von den Gedanken der jungen Menschen, die jahrelang angeleitet durch eure unfruchtbaren Hirne und selektiert durch eure Filter, etwas übriggeblieben ist, verlassen sie die Universität zwar mit den Titeln Bachelor oder Master ausgestattet, jedoch mit einem großen „NICHTS“.

Ihr, die gezeigt habt, dass euch die Gesellschaft gleichgültig ist, und euch trotzdem Künstler*innen und Denker*innen nennt und mit großen Unterschriften euren Schriften signiert. Ihr, die an diesen Tagen wie unsichtbare Körper zum Unterricht erscheint, ungestört von der Anwesenheit der Henker in allen Lehrräumen, ungestört von dem Leben, was erlöscht wurde und weiterhin erlöscht wird. Die Universität ist unser Raum. Ohne uns gibt es sie nicht. Genauso wie es jetzt auch euch nicht mehr gibt. Unsere Anwesenheit war immer eine Anwesenheit fernab jeder Gewalt, eine Anwesenheit für die Rückeroberung menschlicher Werte und eine Anwesenheit für die Menschlichkeit. Ihr habt auf diese Anwesenheit mit härtester Gewalt in allen Formen geantwortet. Unsere Kommilitonen, denen früher durch Passentzug das Verlassen dieses Landes verunmöglicht wurde, dürfen jetzt nicht das Unigelände betreten. Unsere Körper sind voller Wundstellen der Elektroschocker, Schlagstöcke, Äste und von der Folter eurer verwilderten Schlägertrupps. Welchen Unterschied macht es auf ein Gefängnis oder eine Universität zu schauen? Jetzt, wo auch ihr nicht mehr existiert, und kein Schritt zurück mehr möglich ist. Eines Tages werden wir uns die Universität als einen Raum, der uns gehört zurückerobern. Dieser Tag ist nicht fern. Wir werden das Blut unserer Liebsten nie vergessen. Wir, die dieses Mal aus der wahnsinnigen Sonne des Äquators gekommen sind und eure Fleischerbeile zerschmelzen werden.

Gemeinsame Kommuniqe der Studierenden der

  • Kunstuniversität Tehran
  • Die Fakultät der Schönen Künste der Universität Tehran
  • Die Fakltät Kunst und Architektur der Universität Kurdistan
  • Die Kunstfkultät der Al-Zahra Universität, Tehran
  • Die Fakultät der Persischen Literatur und Fremdsprachen der Alameh-Tabatabie-Universität, Tehran
  • Die Universität der Islamischen Kunst Täbris
  • Sureh Kunstuniversität, Tehran
  • Freie Universität Kunst und Architektur, Suhanak
  • Kunstuniversität Isfahan
  • Die Universität Kunst und Architektur, Gilan


Das XLII. Studierendenparlament der TU Berlin möge beschließen, das politische Kommunique der Kunstuniversitäten im Iran zu unterstützen. Es möchte somit seine tiefe Verbundenheit und Solidarität gegenüber den demonstrierenden Studierenden und allen Protestierenden, die derzeit beim Kampf um Freiheit ihr Leben aufs Spiel setzen, ausdrücken!

Des Weiteren fordern wir die Universitätsleitung der TU Berlin hiermit auf zu den brutalen Geschehnissen im Iran und vor allem jenen, welche an und in iranischen Universitäten stattfinden, öffentlich Position zu beziehen und sich dieser Solidaritätsbekundung anzuschließen!

Außerdem rufen wir die deutsche Öffentlichkeit dazu auf, sich mit den protestierenden Menschen im Iran zu solidarisieren und sich an den hier stattfinden Protesten zu beteiligen!