17 Nov

StuPa der TU Berlin fordert: Antisemitismus, Rassismus und Faschismus bekämpfen!

Mit 50 Stimmen und bei drei Enthaltungen und keinen Gegenstimmen (bei einer gegenwärtigen StuPa-Größe von 59 Mitgliedern) hat das XLI. Studierendenparlament der TU Berlin in seiner 1. ordentlichen Sitzung am 12.11.2021 beschlossen:

Antisemitismus, Rassismus und Faschismus bekämpfen!

Am 3. November 2021 wurde das Ergebnis eines neuen Brandgutachtens des britischen Brandsachverständigen Iain Peck veröffentlicht, nach dem Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 von Beamten in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers an Händen und Füßen gefesselt wurde, angezündet worden sein muss. Das Ergebnis des neuen Brandgutachtens steht in Einklang mit den Ergebnissen des unabhängigen, fachradiologischen Gutachtens von Dr. Boris Bodelle aus dem Jahr 2019, welches zudem belegt, dass Oury Jalloh vor seinem Tod ein Schädelbruch sowie offensichtlich mehrere Rippenbrüche zugefügt worden waren.

Das jetzige neue Brandgutachten basiert auf Brandversuchen zur Rekonstruktion des Tatortes in einem originalgetreuen Nachbau der Zelle 5 des Polizeireviers Dessau. Darüber hinaus haben im Vorfeld durchgeführte Bewegungsversuche einer gleichermaßen 4-Punkt-fixierten Person auf einer Matratze in Originalgröße gezeigt, dass Oury Jalloh weder den Bewegungsspielraum noch andere Möglichkeiten hatte, die Matratze selbst anzuzünden. Ein entscheidender Punkt ist, dass der Brandschaden in dem Experiment durch das Übergießen des Körpers und der Matratze mit 2,5 Litern Benzin verursacht wurde. Nach Ansicht von Iain Peck ist es „höchstwahrscheinlich, dass am 7. Januar 2005 eine Menge einer flüchtigen entzündbaren Flüssigkeit wie Benzin über Herrn Jalloh gegossen und absichtlich entzündet wurde“.

Aufgrund der eindeutigen Spurenlage am Feuerzeug (Abwesenheit von Oury Jallohs DNA und Faserresten seiner Kleidung als auch der Matratze, stattdessen zahlreiche tatortfremde Spuren) hatte Iain Peck bereits in seinem Gutachten im Jahr 2015 ausgeschlossen, dass dieses Feuerzeug tatsächlich im Brandschutt der Zelle 5 gelegen haben kann. Der vorgeführte Feuerzeugrest wurde auch nicht am Tatort gefunden, sondern erst drei Tage später auf eine Asservatenliste hinzugefügt. Es handelt sich demnach eindeutig um eine manipuliertes Beweismittel.

Wir, als StuPa der TU Berlin, verurteilen diesen barbarischen Mord und die rassistische Polizeigewalt, die durch Angehörige des Dessauer Polizeireviers ausgeübt wurde. Und wir sprechen den Angehörigen Oury Jallohs und der  Initiative in Gedenken an Oury Jalloh unsere Solidarität aus und unterstützen ihre Anzeige, wegen Strafvereitelung im Amt, gegen die Oberstaatsanwälte der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen-​Anhalts, die die Mordermittlungen einstellten. Und wir fordern ebenfalls eine sofortige Wiederaufnahme der Ermittlungen wegen Mordes gegen die bereits namentlich bekannten Täter des Reviers.

Am 4. November 2021 jährte sich zum zehnten Mal der Tag, an dem 2011 das Kern-Trio des NSU der Öffentlichkeit bekannt wurde. Seit nunmehr zehn Jahren haben wir die Gewissheit, dass Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat dem mörderischen Rassismus des NSU zum Opfer fielen. Auch die Polizistin Michèle Kiesewetter wurde durch die Rechtsterrorist*innen getötet. Ein breites Netzwerk an Unterstützer*innen hat die Morde des NSU möglich gemacht, dessen Mitglieder bis heute weitestgehend unbehelligt agieren können. Auch wenn nach dem Ende des Prozesses 2018 und der jüngsten Bestätigung der Urteile durch den Bundesgerichtshof die juristische Aufarbeitung des NSU-Komplexes als abgeschlossen erklärt wird, ist klar: Eine „lückenlose Aufklärung“ des NSU-Komplexes ist noch immer weit entfernt.

Während bereits im Sommer 2006 Angehörige der Familien Yozgat, Şimşek und Kubaşık und migrantische Communities auf Großdemonstrationen in Kassel und Dortmund auf die Gefahr weiterer Opfer rechten Terrors aufmerksam machten, konzentrierten sich Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden darauf, eine Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben und die Angehörigen und Überlebenden zu drangsalieren. Durch das jahrelange Verleugnen, Verharmlosen und Unterstützen rechter Strukturen konnte der NSU entstehen und unbehelligt agieren. Und noch immer steht die Politik für V-Personen-Schutz statt für Aufklärung. Die Morde des NSU und der Anschlag in der Kölner Keupstrasse mit vielen Verletzten waren ein Anschlag gegen migrantisches Leben. Ein Anschlag gegen uns alle, gegen alle, die für Diversität und ein gleichberechtigtes und solidarisches Miteinander stehen.

Doch auch nach eindringlichen Versuchen, die Gefahren des Rassismus, Antisemitismus und Rechtsterrorismus sichtbarer zu machen, folgten viele weitere Opfer rechtsterroristischer Anschläge. Der Anschlag auf das OEZ in München 2016, der Mord in Kassel 2019, Halle 2019, Hanau 2020 sind nur einige Beispiele. Das Oktoberfestattentat, der antisemitische Doppelmord in Erlangen, die Brandanschläge in der Hamburger Halskestraße, Mölln, Solingen und Lübeck, die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen, Mannheim-Schönau, Hoyerswerda – diese rechtsterroristischen Anschläge und Pogrome aus den 1980er und 1990er Jahren sind Teil der langen Geschichte rechten Terrors in Deutschland und seiner verdrängten Kontinuität. Immer wieder wird von rechten Einzeltäter*innen gesprochen, doch Rassismus, Antisemitismus und rechter Terror haben in Deutschland System. Die Liste ließe sich erweitern um den NSU 2.0, die Gruppe Freital oder die fast täglichen neuen Meldungen über das Auffliegen rechtsterroristischer Gruppen und Strukturen in Polizei und Militär.

Wir, als StuPa der TU Berlin, solidarisieren uns mit den Angehörigen der Ermordeten, die weiterhin Aufklärung verlangen. Und wir unterstützen ihr Eintreten für ein würdiges Gedenken an die zahlreichen Opfer rechten Terrors und dass daraus Konsequenzen gezogen werden müssen. Dazu zählt ein entschlossenes Vorgehen gegen alle TäterInnen und UnterstützerInnen der neonazistischen Morde und Anschläge, denn der NSU war nicht zu dritt. Und wir fordern auch die Umsetzung der Empfehlungen der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse als Konsequenzen aus dem NSU. Rassistische und rechte Morde und Gewalt sind keine Bagatelldelikte. Angehörige und von Rassismus betroffene Menschen müssen endlich als „Hauptzeug*innen des Geschehens“ ernstgenommen werden.

Am 9. November 2021 jähren sich zum 83. Mal die Novemberpogrome von 1938. Im deutschen Herrschaftsbereich wurden Jüdinnen*Juden vergewaltigt, inhaftiert, verschleppt und ermordet. Jüdische Geschäfte, Wohnungen, Gemeindehäuser und Synagogen wurden geplündert, zerstört und in Brand gesetzt. Auf den Straßen entfesselte sich der deutsche antisemitische Terror, der in der Nacht staatlich angestoßen und orchestriert wurde. SA und SS führten, unterstützt durch Polizei und Feuerwehr, die Morde, Brandstiftungen und Verwüstungen an. Die nicht-jüdische Bevölkerung beteiligte sich an dem Pogrom oder stimmte mit ihrem Schweigen zu. Insgesamt wurden in den Tagen um den 9. November 1.300 Jüdinnen*Juden ermordet, über die Hälfte der Gebetshäuser und Synagogen in Deutschland, Österreich und dem annektierten sogenannten Sudetenland wurden zerstört. Ab dem 10. November erfolgte die Deportation von 30.000 Jüdinnen*Juden in Konzentrationslager. Die Pogrome waren Wegbereiter für die Shoah.

Das Gedenken an die Pogromnacht bedeutet auch, sich mit den gegenwärtigen herrschenden Verhältnissen auseinanderzusetzen. Denn auch heute, 83 Jahre nach den Novemberpogromen und zwei Jahre nach dem antisemitischen Anschlag in Halle, gehört Antisemitismus weiterhin zum deutschen Alltag und findet sich in allen Bevölkerungsgruppen. Fast täglich werden in Deutschland antisemitische Angriffe gemeldet. Der Brandanschlag auf die Kneipe „Morgen wird besser“ im letzten Jahr in Lichtenberg und die Angriffe auf Jüdinnen*Juden, als im Kontext der militärischen Auseinandersetzung zwischen der Hamas und Israel im Mai diesen Jahres in vielen deutschen Städten Hunderte gegen Israel auf die Straße gingen, sind nur Beispiele einer lange Liste antisemitischer Taten in Deutschland.

Und in Zeiten gesellschaftlicher Krisen hat Antisemitismus Hochkonjunktur. Das offenbart sich aktuell wieder in Bezug auf die Corona-Pandemie. Deutlich zeigt sich das in der NS-verharmlosenden Verwendung des „Judensterns“ in Verbindung mit dem Wort „Ungeimpft“. Corona-Leugner*innen verspotten so auf ihren Demonstrationen die Opfer des Faschismus, indem sie zeitweise Grundrechtseinschränkungen im Kontext der Pandemie mit der NS-Gesetzgebung gleichsetzen und sich selbst mit den Opfern des antisemitischen Vernichtungswahns des Nationalsozialismus. Neonazis sind mehr als nur Mitläufer*innen in den Anti-Corona-Protesten, sie nutzen die Proteste gezielt für ihre Zwecke und die Proteste der Coronaleugner*innen sind anschlussfähig für die antisemitische Propaganda von Neonazis. Antisemitismus äußert sich bei den Verschwörungsideolog*innen nicht (nur) als Hass auf das Jüdische. Es ist die vereinfachte Weltsicht, die personalisierte Herrschaft, also der Versuch, Entwicklungen, die nicht verstanden werden, einem Sündenbock anzuhängen. Wenn dann noch die nationalsozialistische Verfolgung von Jüdinnen*Juden für die eigene Opferinszenierung herhalten muss, zeugt das von einem Zynismus, dem entschieden entgegengetreten werden muss.

Wir, als StuPa der TU Berlin, erklären, gegen alle Erscheinungen und jedes Auftreten von Antisemitismus entschieden einzutreten. Unabhängig davon, ob dies hervorgebracht wird durch neonazistische AktivistInnen (wie der Kleinstpartei Dritter Weg), durch AkteurInnen der geschichtsrevisionistischen und menschenverachtenden AfD, durch Unterstützer*innen der antisemitischen BDS-Kampagne, durch Antisemit*innen aus der sogenannten bürgerlichen Mitte, durch Corona-Leugner*innen -und Verharmloser*innen und alle anderen Verschwörungsideolog*innen. Mit Antisemit*innen darf keine Debatte geführt, es muss entschieden gegen sie vorgegangen werden.

Antisemitismus, Rassismus und Faschismus bekämpfen!

Auf allen Ebenen. In jeder Form. Mit allen Mitteln.